Kopf
Der Hitler-Stalin-Pakt

Am 17. September 1939 besetzte die Rote Armee gemäß dem „Hitler-Stalin-Pakt“ vom 24. August 1939 Ostpolen. Am 28. September 1939 schlossen die Außenminister Deutschlands und der Sowjetunion, Ribbentrop und Molotow, in Moskau den Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag, in dessen geheimen Zusatzprotokollen die genaue Demarkationslinie festgelegt und der Austausch von Bevölkerungsgruppen vereinbart wurde. Am 8. Oktober teilten das Deutsche Reich und die Sowjetunion im Abkommen von Brest-Litowsk das polnische Gebiet durch eine exakte Demarkationslinie unter sich auf.


(Abb.: polnische Karikatur [ca. 2005])



Der Einmarsch der Roten Armee erfolgte ohne Kriegserklärung und ohne Vorankündigung. Die sowjetische Führung begründete diesen Schritt mit dem „Schutz der slawischen Brudervölker“. Es wurden kurzfristig Wahlen organisiert, in deren Ergebnis die besetzten Teile Ostpolens in die Ukrainische bzw. in die Weißrussische Sowjetrepublik integriert wurden. Damit war im Wesentlichen der Gebietsverlust, den Sowjetrussland im Frieden von Riga erlitten hatte, rückgängig gemacht.

(Abb.: sowjetisches Wahlplakat von 1939, welches die Bevölkerung der polnischen Westukraine auffordert, für den Beitritt zur ukrainischen Sowjetrepublik zu stimmen. Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/uk)



Zwischen 200.000 und 300.000 polnische Soldaten gerieten in sowjetische Gefangenschaft. Darunter befanden sich etwa 10.000 polnische Offiziere. Keinem wurde der Status von Kriegsgefangenen zuerkannt. Tausende wurden liquidiert, andere wurden in Straf- und Arbeitslagern inhaftiert.

Was Hitler im Westen Polens tat, das vollzog Stalin im Osten des Landes. Stalin strebte eine rasche Sowjetisierung der annektierten Gebiete des polnischen Staates an. Hunderttausende „unzuverlässige“ Polen und Westukrainer wurden nach Osten deportiert. Tausende tatsächliche oder scheinbare Regimegegner wurden in Gefängnissen und Lagern inhaftiert. Nach polnischen Angaben wurden 800.000 bis 1,2 Millionen Ostpolen nach Sibirien und Zentralasien deportiert. Nach sowjetischen Angaben belief sich die Zahl der Deportierten lediglich auf 300.000.

Sie erlebten die stalinistische Variante von Vernichtungspolitik. Die sowjetischen Arbeitslager waren zwar nicht mit dem Ziel der planmäßigen Ermordung der Inhaftierten errichtet worden, die trotzdem sehr hohen Todeszahlen sind auf die unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Lagern zurück zu führen. Es gibt Schätzungen, dass die Sterblichkeit unter den Lagerinsassen pro Jahr bis zu 30% und unter den Verbannten bis zu 15% betrug. Dies wurde von der damaligen sowjetischen Partei- und Staatsführung billigend in Kauf genommen.


Die Deutsche Wehrmacht war im Projektraum bis Gródek Jagielloński (UA/ Horodok), ca. 50 km westlich von Lwów (Lviv) vorgestoßen, wo der deutsch-sowjetische Machtwechsel in Form einer Zeremonie auf dem örtlichen Marktplatz vollzogen wurde.



Der Platz wurde nach dem Ende des Krieges zu einem Park umgestaltet. Heute steht in dessen Zentrum ein Denkmal für Taras Schewtschenko, den ukrainischen Nationaldichter aus dem 19. Jahrhundert.
(Foto: Panoramio von oleksandr47)



Die Grenze zwischen dem deutsch und dem sowjetisch besetzten Gebiet der Zweiten Polnischen Republik wurde im Projektraum der Fluss San.



Am 26. September 1939 erreichten die sowjetischen Truppen die Stadt Przemyśl, die damit zur geteilten Stadt wurde. Die Brücke über dem Fluss innerhalb der Stadt war eine Möglichkeit, in dieser Zeit „die Seiten zu wechseln“. Eine Anekdote berichtet, dass die Grenzgänger, die von der sowjetischen zur deutschen Seite gewechselt sind und diejenigen, die in die Gegenrichtung zogen, sich gegenseitig „einen Vogel gezeigt“ hätten, wenn sich auf der Brücke begegneten.



Im Zeitraum zwischen September 1939 und Juni 1941 erfolgten auf sowjetischer Seite intensive Vorbereitungen auf einen zu erwartenden Überfall Hitlers auf die Sowjetunion.

Kurze Zeit nach der Besetzung Ostpolens begann die sowjetische Führung mit der Errichtung eines Verteidigungssystems an der neuen Westgrenze, der sogenannten Molotow-Linie. Das etwa 1.000 km lange System reichte von der Ostsee bis zu den Karpaten und war in 13 Sektionen unterteilt. In jeder Sektion waren zu Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges einige Dutzend Bunker fertiggestellt und Hunderte im Bau. Zu Kriegsbeginn war die Linie nicht einsatzfähig. Deshalb sind in und um Przemyśl viele Bunker unversehrt geblieben. Sie sind heute zu besichtigen und als Teil einer „Militärroute“ touristisch erschlossen.



Zahlreiche Gefangene wurden auch in Grenznähe zunächst zur Zwangsarbeit heran gezogen. Polnische Kriegsgefangene wurden 1939 im sowjetisch besetzten Dubno in der ehemaligen Malzfabrik untergebracht. Sie wurden zum Bau der Straße von Brody nach Dubno eingesetzt und später nach Katyn gebracht und dort erschossen.

Der alte Flugplatz in Dubno wurde von den ukrainischen Gefangenen des NKWD errichtet, die im ehemals polnischen Gefängnis inhaftiert waren. Der Flugplatz wurde von den Sowjets aber kaum genutzt, weil er erst 1941 fertig gestellt wurde und in die Hände der Deutschen Wehrmacht fiel.



Auf der Grundlage des im Hitler-Stalin-Pakt mit Deutschland vereinbarten Umsiedlungsabkommens wurden die Wolhyniendeutschen in den sowjetisch besetzten Gebieten bereits 1939 aus dem ehemals polnischen Teil der Ukraine „heim ins Reich“ geholt. Nazideutschland hatte sich nach der Zerschlagung Polens um den Warthegau erweitert, aus dem die dort ansässigen Polen vertrieben worden waren, um hier vor allem Deutsche aus Osteuropa anzusiedeln. Fünf Jahre später stand die Rote Armee im Warthegau und die ehemaligen Wolhyniendeutschen waren wieder Sowjetbürger, die, soweit sie nicht geflohen waren, „repatriiert“, d.h. in die Verbannungsgebiete im Hohen Norden der Sowjetunion, nach Sibirien oder nach Kasachstan verschleppt wurden. In die alten wolhynischen Siedlungsgebiete kehrten sie nicht mehr zurück.

Heute gibt es nur noch wenige Zeitzeugen, die von diesen Ereignissen berichten können. Eine von ihnen ist Frau Nadja, die in Deutschland lebt und alljährlich ihre Heimatstadt Rivne besucht. Hier bemüht sie sich vor allem darum, die Geschichte der Wolhyniendeutschen in der Region nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.



An der Stelle der wolhyniendeutschen evangelischen Kirche in Rivne steht heute ein Plattenbau. Vor einigen Jahren wurde hier eine Tafel angebracht, die auf die Geschichte dieses Ortes hinweist.



Im Rivnensker Museum für Regionalgeschichte werden noch zahlreiche Dokumente aufbewahrt, die an das Leben und die mehrmalige Vertreibung der Wolhyniendeutschen erinnern.
(Abb. Oben: „Ein Treck wartet auf den Grenzübertritt am Bug“, deutsche Postkarte, 1939 oder 1940, Mitte: Kennkarte für wolhyniendeutsche Aussiedler zum Grenzübertritt von dem sowjetisch und dem deutsch besetzten Teil Polens in den Warthegau, unten: Rückkehrerausweis für wolhyniendeutsche Aussiedler zum Umzug in den Warthegau)